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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


2. Februar 2022

OLG Koblenz: Wikipedia is taken over by the trolls – und das ist gut so

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia eine besondere Glaubwürdigkeit genießt, obgleich bekannt ist, dass Änderungen theoretisch für jedermann möglich sind. Der Durchschnittsleser geht durch den Selbstkontrollmechanismus von einer gewissen Objektivität aus (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a) Rn 76.) Der Leser einer Enzyklopädie Wikipedia erwartet üblicherweise Fakten und keine Verdächtigungen (LG Berlin, Urteil vom 28.8.2018 – 27 O 12/17, ZUM 2019, 65). Der Inhalt eines manipulierten Artikels suggeriert eine Scheinobjektivität, wenn die für Wikipedia typische Darstellung von Streitständen unterbleibt. Der verschleiernde Charakter wird dabei nicht durch relativierende Diskussionsbeiträge beseitigt, weil diese vom durchschnittlichen Wikipedia-Nutzer nicht zur Kenntnis genommen werden (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a Rn. 77).

Die Wikipedia ist insbesondere kein Meinungsforum. Da die Wikimedia-Stiftung als Betreiberin der Wikipedia-Domain ihren Sitz in Kalifornien hat, ist sie als ausländische juristische Person keine Grundrechtsträgerin der Presse- oder Rundfunkfreiheit (Dilling, Olaf: Persönlichkeitsschutz durch Selbstregulierung in der Wikipedia, ZUM 2013, 380). Für die Wikipedia-Autoren gelten die Sorgfaltsmaßstäbe nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB. Allgemeinen Grundsätzen entsprechend hat der Erklärende die Voraussetzungen des § 193 StGB darzutun und im Bestreitensfall zu beweisen (Gomille, Christian: Negatorische Haftung der Wikipedia-Betreiberin, ZUM 2019, 69). Auch der BGH unterscheidet Internetangebote mit nutzerbasierten Beiträgen dahingehend, ob der Betreiber Neutralität, objektiv nachvollziehbare Sachkunde und Repräsentativität hinsichtlich der Beurteilungen der Nutzerbeiträge für sich in Anspruch genommen hätte, oder ob er sich als ein Meinungsformum versteht und darstellt (BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587). Die Wikipedia beansprucht unstreitig einen neutralen Standpunkt und untersagt den Nutzern in den Artikeln eigene Meinungsbeiträge (Wikipedieregel: Keine Theoriefindung, Wikipediaregel: Neutraler Standpunkt).

Diese Auffassung hatte das OLG München letzte Woche sogar in einem Hinweisbschluss, der gegen denselben Beklagten ergangen war, bekräftigt:

Von einem biographischen „Wikipedia“-Beitrag erwartet der maßgebliche Leser aber, dass er über Werdegang und Persönlichkeit der beschriebenen Person im Wesentlichen vollständig und objektiv informiert wird. Diese Erwartung schließt eine kritische Auseinandersetzung des Verfassers mit dem Denken und Handeln der beschriebenen Person keineswegs aus. Mit seiner Bearbeitung hat der Beklagte aber die Grenzen objektiver Darstellung überschritten, weil er dem Leser die gewünschte Bewertung der Person von Prof. Dr. Verleger geradezu aufdrängt und es ihm durch Verschweigen wesentlicher Aspekte von dessen Biographie erschwert, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Insbesondere ist eine Enzyklopädie mit neutralem Geltungsanspruch kein Ort für eigene subjektive Auffassung der Bearbeiter. Die Einträge des Beklagten standen im Widerspruch zum Willen der Geschäftsherrin Wikimedia, § 678 BGB. Auch die durchaus haftende Plattformbetreiberin hat am gezielten Verstoß gegen den in den Wikipedia-Regeln geforderten neutralen Standpunkt kein Interesse, schon weil sie selbst nicht die europäischen Medienfreiheiten beanspruchen kann, sondern grenzt sich sogar ausdrücklich von einem Meinungsforum ab.

Zur Ausübung von Meinungsfreiheit stellt die Wikipedia den Nutzern zu jedem Artikel ein Diskussionsforum zur Verfügung, wo streitige Änderungen diskutiert werden sollen. Im Artikel jedoch sind subjektive Ansichten von Nutzern ausdrücklich unerwünscht. Mutwillige Regelverstöße bezeichnet man im Wikipedia-Jargon zutreffend als „Vandalismus“. Ebenso wenig, wie Sachbeschädigung oder verbotene Eigenmacht mit Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden kann, muss sich die Wikipedia eine Meinung des Beklagten als vermeintlich eigene aufdrängen und unterschieben lassen. Auch der Kläger muss den aufgedrängten Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte durch vorgetäuschte Objektivität nicht hinnehmen.

Es ist bereits verfehlt, anonymes Eintragen unwahrer oder irreführender Informationen in fremde Texte überhaupt unter Äußern von Meinung zu subsumieren, da der subjektive Charakter der Einträge verschleiert bzw. aufgegeben wird. Eine persönliche Zuordnung eines Eintrags zu einem bestimmten Nutzer ist nur unter erheblichem Aufwand recherchierbar, nämlich durch Abgleich mit der gesamten Versionsgeschichte.

Behaupten einer Tatsache setzt streng genommen eigentlich vorraus, dass man sein Haupt auch zeigt. Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Davon geht die h.M. aus, wenn die Äußerung den Empfänger als subjektive Meinung anspricht und ihm als solche erkennbar ist. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, Burkhardt (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap, Rn. 48, mwN.). Eine solche Prägung oder Erkennbarkeit ist bei subversiv in einem fremden Text platzierten Informationen, von denen Leser zumindest das Bemühen um Neutralität sowie eine kollektive Äußerung erwarten, denknotwendig ausgeschlossen. Insbesondere wäre die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB in einer Enzyklopädie ausgeschlossen, da diese gerade keine eigenen Bewertungen anstellen, sondern tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen von Dritten abbilden soll, nicht aber solche der Nutzer. Auch die Rechtsprechung differenziert zwischen Websites mit neutralem Geltungsanspruch und Meinungsportalen, BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18.

Laut einem am 31.01.2022 verkündeten Urteil des OLG Koblenz hingegen scheinen dort andere Maßstäbe zu gelten. Das OLG Koblenz hält Wikipedia-Artikel offenbar sogar für ein Meinungsforum. Dort werden sachlich unstreitig falsche Äußerungen als „wahr“ bezeichnet, wenn man sie mit einer Quelle referenziert (und nicht etwa als subjektive Meinung darstellt). Am OLG Koblenz darf man Autoren, die man fertig machen möchte, eine aus abenteuerlichen Umkehrschlüssen konstruierte „Zusammenfassung“ in den Mund legen und sie damit als scheinbar verrückt erscheinen lassen. Man darf sich aus einem Leben anderer Leute selektiv bedienen und Autoren und sie in Verbindung mit politischen Ansichten von andere Personen bringen, die sie irgendwann einmal unerwartet getroffen haben. Man darf den Eindruck eines gescheiterten Künstlers erwecken, dessen Werke scheinbar nie aufgeführt worden seien und der konzertantes Komponieren aufgegeben habe.

Tatsächlich ist der Kläger ein hochintelligenter, gebildeter und wissenschaftlich sorgfältig arbeitender Mann. Er spricht fünf Sprachen fließend, lebte in verschiedenen Ländern (Israel, Island, Deutschland), war Informatiker schon zu Zeiten von Lochkarten, studierte dann Musik, gehörte in den 70er Jahren zu den Pionieren von Computermusik, bereiste die Welt und publizierte in juristischen Fachzeitschriften zu Menschenrechten. Wegen seiner Kompetenz zum Thema Wirtschaftssanktionen hatte ihn eine kalifornische NGO ihn ca. 1999 und 2000 zweimal als Vertreter zur jährlichen Sitzung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf gesandt. Das ermöglichte dem Kläger, als Beobachter an verschiedenen Ausschüssen teilzunehmen und mit Delegierten der verschiedenen Staaten über die Sanktionen zu sprechen. Damals traf der Kläger in dieser Angelegenheit Graf Hans-Christoph von Sponeck, Nachfolger von Denis Halliday als UN-Koordinator für humanitäre Fragen in Irak. Im Februar 2000 reichte auch von Sponeck (nach Halliday) seinen Rücktritt aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates ein, die er verantwortlich für das Sterben mehrerer hunderttausender irakischer Kinder sah. Soweit bekannt, wurden dem Kläger bislang kein Recherchefehler nachgewiesen. Seine Bücher sind in diversen Sprachen erschienen. Er erhielt internationale Einladungen bis hin nach Pakistan, unter anderem wurde ihm ein Preis im House of Lords verliehen.

Der Beklagte hingegen, dessen Lebensleistung sich dagegen eher bescheiden ausnimmt, räumte in seiner Berufungsschrift sogar ein, dass er mit seiner Bearbeitung Dritte vom Lesen der Bücher des Klägers (die er selbst offenbar nicht kennt) abhalten wollte, da dem Kläger nur ein schlechter Ruf zustehe. Für mich klingt das nach Kreditgefährdung iSd § 824 BGB und vorsätzlich sittenwidriger Schädigung iSd § 826 BGB.

Kontrolle und Abschirmen eines komplett einseitigen und verzerrenden Artikels gegen sachliche Korrekturen scheint für das OLG Koblenz jedoch völlig in Ordnung zu sein. Die Tatsache, dass der Kläger wegen der völlig verzerrten Darstellung über Jahre hinweg im Internet und damit automatisch auch im richtigen Leben wegen ihm untergeschobenen politischen Thesen und Auffassungen geächtet und sozial isoliert wurde, soll nach Meinung des OLG Koblenz nicht so schlimm gewesen sein. Außerden hätte der Kläger, der jahrelang beim Bemühen um Korrekturen in seinen Beitrag gescheitert war, nach Enttarnung von Feliks keinen Anwalt bemühen müssen, man hätte ihn ja auch privat anschreiben und nett fragen können.

Dementsprechend wird das OLG Koblenz sicherlich nichts dagegen haben, dass ich dessen Urteil wie in der Überschrift zusammengefasst habe.

OLG Koblenz, Urteil vom 31.01.2022 – 9 U 195/21 (nicht rechtskräftig).

31. Januar 2022

OLG München: Wikipedia-Serienrufmörder „Feliks“ durfte mit Klarnamen genannt werden

Unter seinem Pseudonym „Feliks“ missbrauchte ein in der Linkspartei vor einem Jahrzehnt gescheiterter Politiker die Wikipedia, um dort die Biographien von über 200 Personen seinem extremen Narrativ entsprechend zu manipulieren.

Hierzu legte er seinen Medienopfern u.a. erfundene Äußerungen in den Mund und erweckte den Eindruck politisch fragwürdiger Positionen, die notwendig zu politischer Ächtung und sozialer Ausgrenzung führten. Bücher der von ihm diskreditierten Autoren hatte Feliks nicht einmal gelesen. In einem anderen Rechtsstreit räumte er sogar seinen Vorsatz sein, Leser von der Beschäftigung mit der von ihm geächteten Person abzuhalten, da dieser kein anderer als ein schlechter Ruf zustehe.

Etliche Journalisten und Politiker gingen Feliks auf den Leim und beteiligten sich an Hexenjagden. Selbst Rechtsanwälte verweigerten einem von Feliks‘ Medienopfern ihr Ohr, obwohl unvoreingenommener Kontakt gerade mit schwierigen und gestrauchelten Menschen deren professionelle Aufgabe gewesen wäre.

Die eigene Medizin, nämlich das Licht der Öffentlichkeit, schmeckte Felix offenbar nicht, und er entdeckte vor dreieinhalb Jahren plötzlich das allgemeine Persönlicheitsrecht.

Bereits das Landgericht München, das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Hamburg hatten entschieden, dass man den politisch extrem einseitigen, selektiven und fälschenden Wikipedia-Autor Feliks beim Klarnamen nennen darf. Dem hat sich jetzt auch das Oberlandesgericht München in einem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss angeschlossen:

„Ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an derjenigen Person, die sich hinter dem Pseudonym „Feliks“ verbirgt, ist jedenfalls deshalb anzuerkennen, weil der Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts bei der von ihm vorgenommenen Bearbeitung der vier Beiträge diejenige Objektivität der Darstellung hat vermissen lassen, die der verständige und unvoreingenommene Leser von einer Kurzbiographie auf „Wikipedia“ erwartet und auch erwarten darf. In allen vier Fällen hat sich der Beklagte dabei ersichtlich davon leiten lassen, dass er die von den Betroffenen vertretenen Positionen zum Nahostkonflikt ablehnt. Er hat sich mit diesen Positionen aber nicht in der Sache kritisch auseinandergesetzt, sondern den Betroffenen pauschal – und zum Teil auf recht dürftiger Tatsachengrundlage – den Stempel des „Antizionismus“ aufgedrückt.“

Die Strafverfolgungsbehörden sahen übrigens keinen Anlass, um gegen die üble Nachrede und Verleumdung einzuschreiten. Damit bleibt Medienopfern nur der Zivilrechtsweg.

27. Dezember 2021

Cryptoleaks beim CCC

Heute sendet zdf.info einen Dreiteiler über die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes. Autor Peter F. Müller hatte mit seinen Co-Autoren bereits vor zwanzig Jahren das Standardwerk Gegen Freund und Feind. Die Geschichte des BND verfasst. Nunmehr konnten er auch auf die Erkenntnisse der Unabhängigen Historikerkommission zurückgreifen, die Zugriff auf die Akten der ersten Jahrzehnte des BND bekam. Die Folgen sind bereits in der Mediathek.

Letztes Jahr hatte Müller die Operation Rubikon enthüllt, bei der BND und CIA ein halbes Jahrhundert die Welt mit manipulierten Chiffriermaschinen hereingelegt hatten, in deren Code Hintertüren eingebaut waren. Da dieses spannende Thema alle Kernthemen des Chaos Computer Clubs streifte, hatte ich Müller für einen Talk beim jährlichen Chaos Communication Congress gewonnen, der 2020 online stattfand. Er brachte auch die Leute vom Cryptomuseum mit ihren Kisten mit, die u.a. eine Enigma demonstrierten.

Leider hatte praktisch niemand diesen einzige Beitrag zu dem spektakulären Thema Rubikon gesehen. Der CCC hatte nämlich außer im „Fahrplan“ neben tausend anderen Events nirgends auf den Talk hingewiesen. Dies erwies sich nachträglich als Glücksfall, denn die Videoinfrastruktur litt unter DDOS-Angriffen, ohne dass eine Fallback-Lösung möglich war. Einen Monat nach der Veranstaltung gelang es, einen Mitschnitt ins Netz zu stellen.

27. November 2021

Fake News der Medienwächter – Ist die ZAK wirklich auf zack?

Vor einem Jahr trat der Medienstaatsvertrag inkraft, der in §§ 19, 109 MStV den Landesmedienanstalten und damit dem Staat erstmals seit 1945 das Recht verleiht, unerwünschte Nachrichten politisch zu verbieten:

Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden, haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen.

Die eigentliche Entscheidung, was genau nicht den anerkannten journalistischen Grundsätzen entsprechen soll, treffen aber nicht etwa die einzelnen Landesmedienanstalten, sondern die aus deren 16 Direktorinnen und Direktoren gebildete Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK).

Bislang hat die ZAK bundesweit genau einem einzigen Blogger eine Unterlassung aufgegeben und Verwaltungskosten diesbezüglich aufgebrummt, weil dieser einen Sachverhalt so zugespitzt hatte, dass er einen falschen Eindruck erweckt haben soll. Daher hätte er gegen die Sorgfaltspflichten der Presse verstoßen. Das ist schon deshalb aberwitzig, weil die konventionelle Presse das ständig tut, aber Pressefreiheit genießt.

Der Gängelung durch die ZAK können sich etwa Online-Medien nur entziehen, wenn sie sich dem privaten Lobby-Verein Deutscher Presserat unterwerfen und an diesen Jahresgebühren bezahlen. Die Ausübung von Grundrechten wie Meinungs- und Pressefreiheit kostet also inzwischen Geld.

Allerdings ist der Presserat wählerisch bei der Akzeptanz seiner Vertragspartner und würde derzeit Blogger nicht ohne weiteres akzeptieren. (Diese Praxis ist nicht zuletzt deshalb fragwürdig, weil ohne Akzeptanz des Presserats im Online-Bereich keine Sonderrechte für Journalisten iSd DSGVO gelten.) Der hier betroffene Blogger hätte auch an einer Zusammenarbeit mit dem Presserat kein Interesse, da er mit dessen Kompetenz zu Fake News schlechte Erfahrungen gemacht hat.

Der von § 19 MStV benutzte Begriff „journalistischer Sorgfaltspflichten“ stammt eigentlich aus dem Zivilrecht und spielt bei Verdachtsberichterstattung eine Rolle, die nur dann zulässig ist, wenn sauber recherchiert und nicht einseitig dargestellt wird. Gegen eine unzulässige Verdachtsberichterstattung können sich Betroffene ggf. zur Wehr setzen, zivilrechtlich und ggf. sogar strafrechtlich. Aber das war bislang Sache der Betroffenen, nicht des Staates.

Nun machen die Länder Anstalten, selbst darüber zu befinden, was wahr ist und geschrieben werden darf. Dabei verweisen Sie auf den streitbaren Pressekodex des Privatvereins Deutscher Presserat und definieren auf der ZAK-Homepage die anerkannten journalistischen Sorgfaltspflichten wie folgt:

Die ZAK vertritt also allen Ernstes die Rechtsauffassung, dem Presserat angeschlossene Medienhäuser und andere dürften „nicht einseitig berichten“.

Derartiger Unsinn steht nicht einmal im Pressekodex. Ein solches Postulat wäre auch mit der von Grundgesetz und Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Presse- und Meinungsfreiheit fundamental unvereinbar, die nun einmal den Medien und Meinenden eben genau die Freiheit garantiert, einen Sachverhalt so zu sehen und zu berichten, wie sie ihn sehen oder es ins erwünschte Narrativ passt. Würde man von Redaktionen verlangen, dass sie ausgewogen berichten und falsche Eindrücke vermieden, wäre der Kiosk ab morgen leer.

Wenn aber die Häuptlinge der Landesmedienanstalten, die anderen Fake News verbieten wollen, hier selbst Fake News in die Welt setzen, stellt sich die klassische Frage: Wer bewacht die Wächter?

28. Oktober 2021

USA vs. Julian Paul Assange

Da die Berichterstattung über Julian Assange erfahrungsgemäß unzuverlässig und politisch gefärbt ist, bin ich zum Berufungsverfahren der USA gegen die Ablehnung des Auslieferungsgesuchs persönlich nach London gefahren, um mir ein eigens Bild zu machen.

Dem Angeklagten, den die USA für sein restliches Leben wegsperren oder dieses beenden wollen, wurde die Teilnahme am Prozess offenbar gegen seinen Willen verwehrt. Auf einem Video, das uns kurz gezeigt wurde, konnte man ihn im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh sehen.

Den Prozessbeobachtern wird überwiegend auch nur ein Stream etwa im Nebenraum gewährt. Die Qualität unterschreitet den Standard, den deutsche Gerichte bei Online-Verhandlungen einhalten. So sieht man nur zwei Kameras aus der Totalen von hinten, und kann allenfalls erahnen, wer gerade spricht.

Das Absurde ist, dass Assange jahrelang von Schweden eine Online-Befragung zu den damaligen Vorwürfen verwehrt wurde. Video sei zur Vernehmung nicht gut genug. (Tatsächlich wird derartiges bei grenzüberschreitenden Vernehmungen offenbar schon lange gemacht.)

Das Auslieferungsbegehren der USA war einzig aus humanitären Gründen abgelehnt worden, das Suizidgefahr zu befürchten sei. Bei der gestrigen Verhandlung wurde darüber gefeilscht, wie suizidgefährdet und psychisch krank Assange wirklich sei. So könne er nach Meinung des US-Vertreters nicht autistisch sein, da er ja Beziehungen eingegangen sei und Kinder gezeugt habe. Wer autistische Freunde hat, kommt vermutlich zu anderen Ergebnissen.

Hier ist mein Bericht vom ersten Tag. Die Anhörung wird nunmehr fortgesetzt.

19. Oktober 2021

Anmerkungen zu #Reichelt

Den Namen Julian Reichelt hörte ich das erste Mal, als ich auf einer journalistischen Veranstaltungen mit ihm in einer Diskussionsrunde zu diesem Thema saß. Reichelts Äußerungen offenbarten nicht nur einen stramm transatlantischen Kompass, sondern auch eine erstaunliche Naivität zur Zuverlässigkeit von Kriegsberichterstattung. (Jeder, der hierzu auf Augenhöhe mitreden möchte, sollte mindestens Phillip Knightley: „The First Casualty“ gelesen haben.)

Umso erstaunter war ich, als ich erfuhr, dass der mir als journalistisches Greenhorn erscheinende Reichelt einmal ausgerechnet Kriegsreporter gewesen sein soll. Da ich BILD allenfalls aus beruflicher Veranlassung lese, ist mir Reichelts literarisches Schaffen praktisch nur aus Tweets bekannt. Als Reichelt ausgerechnet zum Häuptling der BILD befördert wurde, sagte das eigentlich alles.

Statt über seine überschaubaren journalistischen Fähigkeiten stolperte Reichelt nunmehr (erneut) über sein Privatleben, das er mit seiner beruflichen Position in einer Weise verquickte, wie es in den 1960er Jahren akzeptiert gewesen sein mag. Die beißende Pointe – auf die im Gegensatz zu deutschen Redaktionen nur die im prüden Amerika ansässige New York Times anspielt – ist die delikate Tatsache, dass Friede Springer ihre Verlegerinnen-Karriere in ähnlicher Weise wie Reichelts Affären mit Untergebenen begann, nämlich als Kindermädchen bei Axel Springer.

Die New York Times berichtet außerdem von angeblich gefälschten Scheidungspapieren, die Reichelt vorgelegt haben soll. Urkundenfälschung zählt bei Strafverfolgungsbehörden nicht zu den Kavaliersdelikten und erlaubt, wenn sich der schwerwiegende Vorwurf als zutreffend herausstellen sollte, Rückschlüsse auf Reichelts Integrität. Wenn man es mit Lug und Trug zu Deutschlands vermutlich mächtigstem Chefredakteur bringen kann, wenn man denn nur den richtigen Leuten nach dem Mund redet, wäre das Anlass zur Besorgnis.

Die Recherche zu Reichelt ist presserechtlich problematisch, da sensible Dokumente aus einem Compliance-Verfahren durchgestochen wurden, bei dem die Beteiligten zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Der Verlag hat eine entsprechende Untersuchung angekündigt. Die Beurteilung wird sich nach der Wallraff-Rechtsprechung richten: Ähnlich wie beim Redaktionsgeheimnis und dem Anwaltsgeheimnis muss es bei interner professioneller Kommunikation geschützte Räume geben, in denen man offen sprechen kann. Kann jedoch ein gesellschaftlich erheblicher Missstand nicht anders recherchiert werden, darf bei überwiegendem Berichtsinteresse der Öffentlichkeit ausnahmsweise auch rechtswidrig beschafftes Material verwendet werden.

Eine andere Frage ist, ob sich die Hinweisgeber durch ihre Indiskretion strafbar gemacht haben. Davon wird auszugehen sein.

23. Juli 2021

Wikimedia erkennt Rufmord-Klage an

Ein Mandant, der vor Jahren in einen falschen Verdacht geraten war und sich damals hiergegen erfolgreich gewehrt hatte, wurde in der deutschsprachigen Wikipedia als Schuldiger dargestellt, dies mit despektierlichen und sarkastischen Formulierungen, die in einer Enzyklopädie nichts zu suchen haben und Pseudozitaten. Die vorverurteilende Darstellung entsprach weder den Wikipedia-Regeln noch ansatzweise den strengen Anforderungen der Rechtsprechung an zulässige Verdachtsberichterstattung.

Wikimedia erkannte heute die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg an, da die Sach- und Rechtslage eindeutig war. Das war sie aber schon vor einem Jahr, als wir die Klage erhoben.

Entgegen der PR, die im Bezug auf das für einen anderen Mandanten erstrittene Schmerzensgeldurteil gegen Grünewald am Landgericht Koblenz verbreitet wurde, kümmern sich weder der deutsche Wikimedia-Verein noch die Wikipedia-Admins um Eingaben, die auf offiziellem Wege eingehen.

Rechtlich verantwortlich ist die in den USA ansässige Wikimedia Foundation, welche die Datenbank betreibt. Diese veranlasste weder auf das anwaltliche Hinweisschreiben vom Juni 2020 noch auf die Klagezustellung, die COVID-bedingt erst am 24.12.20 erfolgt war, irgendetwas. Erst zwei Monate später wurden kommentarlos einige Einträge halbherzig geändert. Im Gegenteil wurde der Mandant sogar für den „Frevel“, dass er einen fairen Umgang mit der falschen Verdächtigung eingefordert hatte, durch Nachtreten bestraft. Die von Wikimedia beauftragte Kanzlei beantragte trotz der eindeutigen Rechtslage eine Fristverlängerung nach der anderen.

Dem betagten Mandant raubte die rufmordende Wikipedia damit ein ganzes weiteres Lebensjahr, was ihn u.a. an ehrenamtlicher Tätigkeit in der Öffentlichkeit hinderte. Die bittere Ironie an der Sache ist, dass die Wikipedia auf diese Weise ausgerechnet ein Engagement des Mandanten für ein Denkmal über die Bücherverbrennung sabotierte.

Meine vor 15 Jahren gebildete Meinung über die Mentalität der deutschen Wikipediaverantwortlichen wurde erneut zu 100 % bestätigt: Neureich, arrogant, selbstherrlich, verantwortungslos. Für eine Enzyklopädie mit der Alltagsbedeutung der Wikipedia möchte man sich Besseres wünschen, insbesondere endlich ein Verfahren, das sich wenigstens im Ansatz an Rechtsstaatlichkeit messen lassen könnte. Dazu würde auch eine Weisung an die eigenen Anwälte gehören, dass aussichtlose Rechtsstreite vor Gericht nicht um ihrer selbst Willen in die Länge gezogen werden.

17. Mai 2021

Die Völkerrechtlerin und das Gremium

Vorab: Für ein politisches Amt benötigt man keinen formalen Bildungsabschluss, weitaus wichtiger sind Auffassungsgabe, Teamfähigkeit und Charakter. Ich kenne Volljuristen, die zugleich auch Vollpfosten sind.

Wer aber mit einer geflunkerten Ausbildung renommiert, muss sich der Kritik stellen. Der Vorwurf, Kritik hieran sei perfide oder geschlechtsspezifisch, leuchtet nicht ein.

Annalena Baerbock gab 2013 auf dem Wahlzettel als Profession „Völkerrechtlerin“ an, auf der Website „Politik- und Jurastudium, Universität Hamburg (2000-2004)“. Dies erweckt den Eindruck einer beruflichen Tätigkeit oder akademischen Laufbahn, was schon deshalb beeindruckend wäre, weil Völkerrecht nicht zum regulären Prüfungsstoff gehört. Auch eine Promotion soll begonnen worden sein, die zumindest bei Rechtswissenschaftlern normalerweise ein Prädikatsexamen voraussetzt – Frau Baerbock hat keines der beiden Staatsexamina, die ein Volljurist benötigt.

Wenn eine „Völkerrechtlerin“ allerdings die UN-Charta als das wichtigste Gremium eigentlich international bezeichnet, also einen Gründungsvertrag für ein „Gremium“ hält, darf man schon die Frage nach der Qualität des „Politik- und Jurastudiums“ stellen.

Die Diskussion lenkt allerdings von einer weitaus größeren Fehlleistung ab: So bezeichnet die „Völkerrechtlerin“ als Inspiration Joschka Fischer – jenen grünen Außenminister, der Deutschland in einen völkerrechtswidrigen Krieg führte.

Man kann es natürlich auch wie Volker Beck machen, jener abgebrochene Philosophie-Student, der von den Medien unkritisch als Rechtsexperte akzeptiert wurde. Oder wie Anna Gallina, die ohne Jurastudium die Justizsenatorin gibt und ebenfalls mit fachlichen Fehlleistungen auffällt.

Was mich am meisten irritiert: 2012 wurde die Piratenpartei von den Medien in einer Weise seziert, als säßen sie bereits in der Bundesregierung. Jeder Tweet von Provinzpiraten wurde zu einem „Gate“ skandalisiert, man gewann beinahe den Eindruck, Querulanten und Quartalsirre seien ein Alleinstellungsmerkmal der neuen Partei. Jeden Tag wurde 2012 eine neue Sau durchs Dorf getrieben, bis niemand mehr etwas von den Piraten hören wollte, im Wahlkampf 2013 hatten sie keine Airtime mehr. Nicht einmal ein Jahrzehnt später nun soll Wahlkampf im Safespace stattfinden.

3. Mai 2021

Medienaufsicht droht unerwünschten Bloggern mit Sperrverfügung

Während sich heute am Tag der Pressefreiheit konventionelle Medienmacher im jährlichen Ritual gegenseitig auf die Schulter klopfen, hält sich die Laune einiger Blogger und YouTuber in Grenzen. Seit einigen Wochen bekommen sie blaue Briefe von Landesmedienanstalten, die politisch unerwünschte Inhalte beanstanden und Fristen zur Änderung setzen.

Die ursprünglich für den privaten Rundfunk aufgebauten Landesmedienanstalten sind nämlich mit Inkrafttreten des Medienstaatsvertrags vom 07.11.2020 zur Qualitätsaufsicht über Anbieter auch quasi-journalistischer Internetinhalte zuständig, sofern diese in Deutschland ansässig sind und sich nicht dem von der Verlegerlobby organisierten Deutschen Presserat angeschlossen haben. Wer nach dem äußeren Erscheinungsbild ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Telemedium betreibt, fällt unter § 19 MStV – gleichgültig, ob kommerziell oder nicht.

Solche Anbieter sollen angeblichen journalistischen Mindeststandards unterworfen sein. Nach Meinung der Landesmedienanstalten müssen daher u.a. die folgenden Grundsätze beachtet werden:

– Inhalte dürfen nicht billigend aus dem Zusammenhang gerissen werden.

– Werden nicht unerhebliche Teile von Fremdinhalten aus einer Drittquelle übernommen, so ist die Quelle zu benennen. Gleiches gilt für Zitatsammlungen.

– Anonyme Quellen sind als solche zu kennzeichnen.

– Zitate müssen unverfälscht aus Drittquellen übernommen werden.

– Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung sind einzuhalten.

– Bei Meinungsumfragen ist anzugeben, ob sie repräsentativ sind.

Ob solche Sonntagsreden von der konventionellen Presse beherzigt werden, sei hier einmal dahingestellt (Das „Twitter-Mädchen“ im Syrienkrieg).

Die Landesmedienanstalten belassen es allerdings nicht bei diesen rührenden Appellen, sondern beanstanden ganz konkrete Texte der Blogger, deren journalistischen Gehalt sie anzweifeln. So verlangen Landesmedienanstalten in mehreren Fällen von Bloggern die Angabe von Quellen für unerwünschte Beiträge. Auch das restliche Angebot sollen die Betreiber auf Einhaltung journalistischer Standards überprüfen. Für den Fall, dass die Anbieter nicht innerhalb der gesetzten Frist wunschgemäß reagieren, drohen die Landesmedienanstalten u.a. mit Sperrverfügungen.

Das ist neu in der deutschen Medienlandschaft. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.05.1949 galt Artikel 5 Abs. 1 GG:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Daraus leiteten Verfassungsjuristen das Prinzip ab, dass sich der Staat aus Angelegenheiten der Presse möglichst herauszuhalten hat. Abgesehen von Fragen des Jugendschutzes oder strafrechtlich verbotener Volksverhetzung usw. hatte der Staat gegenüber Medienhäusern inhaltlich nichts zu melden. Anders als bei den meisten Berufen gibt es für Printjournalismus keine Aufsichtsbehörde wie etwa eine berufsständische Kammer usw. Wer sich auf den Schlips getreten fühlt, kann privat die Gerichte bemühen, nicht aber der Staat.

Ein weiteres Prinzip war die Sicherung von Meinungsvielfalt durch ein möglichst breites Spektrum an Meinungsführern und Angeboten. Dem wurde insbesondere bei der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Rechnung getragen, der keinen staatlichen Weisungen untergeordnet ist und von bunt gemischten Rundfunkräten indirekt kontrolliert wird.

Im Adenauer-Deutschland verhinderten klüngelnde Verleger den Erlass eines angedachten Ehrenschutzgesetzes, indem sie 1956 den Deutschen Presserat gründeten, der Missständen branchenintern auf dem Parkett eines privaten Lobbyvereins mit Gentlemen’s Agreements entgegenwirken soll.

Als man dann Ende der 1980er Jahre den privaten Rundfunk zuließ, baute man nach dem Vorbild der angeblich staatsfernen Rundfunkräte die Landesmedienanstalten auf, um die Medienlandschaft auf mögliche politische Einseitigkeit und Meinungsmonopole zu überprüfen.

Die junge Generation unserer Tage allerdings kauft keine gedruckten Zeitungen mehr und sieht auch kaum noch lineares Fernsehen. Dass Influencer Einfluss auf das Wahlverhalten ausüben, bewies 2019 eindrucksvoll das Rezo-Video (Die Rezo-zialisierung der CDU).

Im Super-Wahljahr 2021 sowie im Streit über die Deutungshoheit über COVID-19-Themen rasseln die Landesmedienanstalten nun mit den Ketten, an die sie die Blogger legen wollen. Das Wahlvolk soll sich gefälligst an den konventionellen Medien orientieren – die den Klimawandel vier Jahrzehnte krass unterberichteten, weder den Brexit noch eine Trump-Regierung für realistisch hielten und Kriegsverbrechern Kränze flechten (Auf den Hund gekommen).

Wie sich § 19 MStV mit dem Zensurverbot aus Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG in Einklang bringen lassen soll, sowie mit dem Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung aus Art. 3 GG, wird eine spannende Frage. Insbesondere also haben diese öffentlich-rechtlichen Organisationen nicht nur die Macht, einzelne Beiträge nachträglich zu beschneiden, sondern sie können per § 109 MStV die gesamten Websites und Kanäle sperren. Befremdlich ist das Verlangen nach Quellenangaben, denn konventionelle Journalisten beanspruchen Quellenschutz und dürfen sogar vor Gericht das Zeugnis verweigern.

Die Medienaufseher jedoch fordern in ihren Schreiben sogar das Einhalten von journalistischen Sorgfaltspflichten ein, insbesondere die Prüfung der Aussagen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit. Das Einhalten journalistischer Sorgfaltspflichten müssen konventionelle Medien allerdings nur nachweisen, wenn ein konkret Betroffener sie wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch unwahre Verdachtsberichtserstattung verklagt. Nunmehr also maßen sich die Landesmedienanstalten die Rolle einer allzuständigen Spanischen Inquisition wegen aller möglichen Themen an und legen an Privatleute Maßstäbe an, denen häufig selbst professionelle Journalisten nicht genügen.

Medienjuristen haben erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit von § 19 MStV mit Europa- und Verfassungsrecht. Mit der Aufforderung zur Angabe von Quellen für offenbar unerwünschte Information begeben sich die Landesmedienanstalten in das Zeitalter vor dem Reichspreßgesetz von 1874, das die Presse vor der Polizei schützte. Stattdessen maßen sich die Medienaufseher die Rolle eines Orwellschen Wahrheitsministerium an.

Ob ausgerechnet die Landesmedienanstalten als Politkommissare fachlich taugen oder wenigstens Kompetenz für rechtsstaatliche Verfahren erwarten lassen, darf man mit Blick auf deren Personal herzlich bezweifeln. Nur einige der Landesmediendirektoren verfügen über die Befähigung zum Richteramt, durchweg allerdings beweisen sie ideologisches und machtpolitisches Talent. In Rheinland-Pfalz konnte sich ein strafrechtlich aufgefallener Politiker mit drittklassig überstandenem Doktortitelaberkennungsverfahren ins Amt klüngeln (Der Fall Marc Jan Euman). Der Landesmediendirektor von NRW fiel mit einem spannenden Verhältnis zur Meinungsfreiheit auf (Rezo-Fallout: „Wir brauchen Regeln gegen Desinformation“). Etliche Landesmediendirektoren sind Ex-Politiker und daher nicht wirklich unabhängig.

Wer sich dem Zugriff der forschen Medienaufseher entziehen möchte, muss entweder seinen Sitz ins Ausland verlegen oder sich, wie es § 19 MStV als Ausweg vorsieht, dem Pressekodex des Deutschen Presserats unterwerfen. Wer eine solche Selbstverpflichtungserklärung abgibt und vom Presserat akzeptiert wird, kann sich mit einem nach Reichweite gestaffelten „Jahresentgelt“ zwischen 100,- € und 100.000,- € aus der Zuständigkeit der Landesmedienanstalten freikaufen.

Zu einem solchen Ablaßhandel wäre Bloggern dringend zu raten, denn anders als die Landesmedienanstalten verfügt der Presserat nicht über scharfe Waffen, sondern kann bei Verstößen gegen den Pressekodex gerade einmal Flüche ausstoßen wie „Beanstandungen“ und „Rügen“. Im noblen Presserat sitzen außerdem nur Gesandte von Verlagshäusern und Journalistenvereinigungen, die sich einander nur selten ein Auge aushacken. Der Deutsche Presserat ist ein schlechter Witz und spielt im realen Medienrecht keine messbare Rolle.

Dennoch ist es ein fragwürdiger Eingriff in die Medienfreiheit, wenn der Staat Blogger quasi zum Coteau gegenüber dem Presserat nötigt und ihnen eine indirekte Abgabe auferlegt. Mit der Unterwerfung unter den Pressekodex ist übrigens keine Vereinsmitgliedschaft im Presserat mit irgendwelchen Mitspracherechten verbunden. Mitglied im Presserat sind nur große Verlagshäuser und gesalbte Journalisten. Und die verwalten dann demnächst ein Monopol – also genau das, was mit Konzept der Medienvielfalt vermieden werden sollte.

Theoretisch sieht § 19 MStV auch die Möglichkeit vor, sich alternativen „freiwilligen“ Selbstkontrollorganisationen anzuschließen, wenn es solche eines Tages geben sollte. Die allerdings müssten von den Landesmedienanstalten anerkannt werden – die damit ihre seltsamen Auffassungen von Anfang an induziert. Spannend wäre es ja schon, wenn sich der Papiertiger „Deutscher Presserat“ einer Konkurrenz stellen müsste, die das Thema Qualitätsjournalismus zur Abwechslung mal ernst nähme. Wenn sich alternative Presseräte formieren, besteht allerdings das Risiko, als Medium zweiter Klasse eingestuft zu werden, oder gar einer Stigmatisierung durch Assoziation mit „Schmuddelkindern“.

Ob die Medienregulierung des § 19 MStV wirklich überzeugend ist, darf man unterschiedlich bewerten. Langfristig wird sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen Konstrukten beschäftigen. Die ersten Blogger und YouTuber stehen bereits in den Startlöchern nach Karlsruhe. Für das Superwahljahr 2021 jedoch wird § 19 MStV voraussichtlich halten.

1. April 2021

Landgericht München: Wikipedia-Manipulator Feliks darf namentlich genannt werden

Der Wikipedianer Feliks manipuliert seit über eine Jahrzehnt Wikipedia-Biographien über Personen, die nicht seine politisch-religiöse Auffassung zum Nahost-Konflikt teilen. So lässt er nach wie vor eine Vielzahl an Personen als vermeintliche Antisemiten erscheinen, darunter ausgerechnet Jüdinnen und Juden. Die Admins scheint das nicht zu stören. Auf Wikipedia bleibt also ganzjährig 1. April.

2018 wurde Feliks von Mandanten enttarnt. Feliks erschlich sich hiergegen zunächst eine einstweilige Verfügung, jedoch konnten wir Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg davon überzeugen, dass an seiner Identität ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit besteht. Wer Heckenschütze spielt, muss mit dem Echo leben. Diese Rechtsprechung hat letzte Woche nun das Landgericht München bestätigt (Landgericht München, Urteil vom 26.03.2021 – 25 O 15729/18, nicht rechtskräftig).

Ein anderer Mandant, ein israelisch-isländischer Komponist, verklagte Feliks erfolgreich vor dem Landgericht Koblenz auf Schadensersatz von insgesamt über 10.000,- € wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Landgericht Koblenz, Urteil vom 14.01.2021 – 9 O 80/20). Die von Feliks hiergegen öffentlich eingelegte Berufung erwies sich als Rohrkrepierer. So griff sein neuer Anwalt hauptsächlich präkludierten Vortrag aus der ersten Instanz an und bekannte freimütig, meinem Mandanten stehe nur ein schlechter Ruf zu. Meine künftigen Klagen gegen Feliks kann ich dann wohl mit § 826 BGB begründen.

Sein neuer Anwalt ließ mich auch wissen, die meisten von Felik’s Editierungen seien ohnehin verjährt. Tatsächlich jedoch beginnt der Lauf der Verjährung aber erst ab Kenntnisnahme, sodass jeder Geschädigte alle seit 2010 entstandenen Ansprüche noch bis zum 31.12.2021 geltend machen kann.