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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Presserechtlich bedenkliches Interview zum Presserecht

Ein (bzw. sogar „der“) Journalist hat mich wegen meiner kritischen Haltung zur Hamburger Presserechtskammer interviewt. Der Telefontermin dauerte 45 Minuten, das Gespräch dampfte man auf einen Text ein, der mir vorlegt wurde – zum Glück, dachte ich, denn redaktionelle künstlerische Freiheit soll bitte nicht in meinem Mund stattfinden. Gedruckte Worte wollen weise gewählt sein.

Die Redaktion nahm jedoch den alten Text als Grundlage und besserte nur stellenweise aus – ohne weitere Rücksprache. Während ich mit der gedruckten Fassung wohl leben muss, werden in der online-Fassung wenigstens die gröbsten Schnitzer beseitigt. Andererseits: Ich könnte jetzt natürlich zu Richter Buske rennen … ;-)

Für die Nachwelt hier aber die einzig autorisierte Fassung:

Kasten:

Markus Kompa ist Rechtsanwalt und bloggt zu medienrechtlichen Themen unter kanzleikompa.de. Er beschäftigt sich häufig mit den Urteilen, die die Zivilkammer 24 (Pressekammer) und die für Internet-Sachen zuständige Zivilkammer 25 des Landgerichts Hamburg fällen. Kompa hat dort auch einige Blogger vertreten.

Interview:

Wann ist Ihnen zum ersten Mal aufgefallen, dass die Pressekammer des Landgerichts Hamburg besonders harte Urteile fällt? Gab es einen besonderen Anlass, der Sie dazu motiviert hat, sich mit dieser Institution zu beschäftigen?

Das war 2006. Ich schrieb damals einen juristischen Kommentar zum Recht am eigenen Bild, und bei der Recherche hat es mich zunächst irritiert, dass die Hamburger Urteile häufig im Widerspruch standen zu dem, was vorher der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden hatten. Im selben Jahr bin ich in Hamburg in eigener Sache belangt worden.

Was hat man Ihnen zur Last gelegt?

Ich betreibe zum Thema Finanzberatung die Website „Finanzparasiten“. Ein Anwalt aus einer der einschlägigen Hamburger Kanzleien hat sich sehr bemüht und dafür gesorgt, dass mir Äußerungen verboten wurden, die nach der Rechtsprechung der Obergerichte in Karlsruhe meines Erachtens zulässige Meinungsäußerungen waren. Ich saß dann erstmals Richter Buske, dem Vorsitzenden der Pressekammer, gegenüber und verstand die Welt nicht mehr, weil es ihm völlig egal war, was ich sagte. Ich dachte, dass ich angesichts der Meinungsfreiheit eine Chance haben müsste, kannte aber damals die Praxis der Pressekammer einfach nicht. Ich glaubte z.B. nicht, dass die Hamburger Anwälte dort einen Heimvorteil haben. Ich war damals noch ziemlich grün.

Wie ist die Sache ausgegangen?

Ich habe meinen Kampf öffentlich geführt, in Blogs und in Internetforen. Die Firma, die mich verklagt hat, hat die schlechte PR, die sie sich eingebrockt hat, später sehr bereut und schließlich die Klage zurückgenommen. Die hätten besser gleich auf Augenhöhe mit mir gesprochen. Heute tun sie das auch.

Warum halten Sie die Hamburger Urteile grundsätzlich für problematisch?

Wenn eine Äußerung mehrere Lesarten zulässt, entscheiden sich die Hamburger Gerichte immer für jene Interpretation, die ihnen die Kläger nahe legt. Die Folge: Man kann nichts mehr andeuten, muss jede Äußerung auf Präzision prüfen und sollte etwa mit Ironie vorsichtig sein. Wir leben ein bisschen in Orwellschen Zeiten. Im Grundsatz muss es doch möglich sein, einen Satz so zu formulieren, dass man ihn auch mal missverstehen kann. Letztlich ist doch fast jeder Satz verschieden interpretierbar.

Können Sie aus ihrer eigenen Praxis einen kuriosen aktuellen Fall schildern?

Ich vertrete gerade jemanden, der wahrheitsgemäß über eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg berichtete, die gegen eine Bloggerin erlassen wurde. Es geht dabei um Vorwürfe, die eine Therapieeinrichtung für ehemalige Drogenkranke betreffen. Die Bloggerin hatte nach Meinung der Richter durch ihre Äußerungen einen angeblich unwahren (d.h. einen von ihr zu beweisenden) Eindruck erweckt. Mein Mandant hat die ihr verbotenen Äußerungen nicht einmal wiederholt, sondern nur den verkürzten Unterlassungstenor. Außerdem hat er erwähnt, ihm lägen schriftliche Aussagen von Zeugen vor, welche den verbotenen Eindruck bestätigen. Diese Zeugen waren vor Gericht sogar präsent, und es gibt eidesstattlichen Versicherungen, die den Richtern vorliegen. Mein Mandant hat nicht einmal geschrieben, für wie glaubhaft er die Zeugen hält – nicht einmal, was diese genau sagen. Trotzdem hat die Zivilkammer 25 des Landgerichts Hamburg auch gegen meinen Mandanten eine einstweilige Unterlassungsverfügung erlassen, weil seine unstreitig wahre Berichterstattung den Eindruck erwecke, den man der Bloggerin verboten hatte. Das widerspricht einigen Urteilen, die etwa Rolf Schälike, der Betreiber der Prozessberichterstattungs-Website „Buskeismus“, erstritten hat. Demnach darf man einen Tenor einer verbotenen Äußerung zum Zwecke der Berichterstattung wiederholen, wenn man sich die verbotene Äußerung nicht zu eigen macht – sogar einem selbst verbotene Äußerungen, wenn man sich formal distanziert.

Welche Funktion erfüllt die Zivilkammer 25 des Landgerichts Hamburg? Die ist bisher weniger bekannt.

Inzwischen werden die Blogger weitgehend von der Pressekammer ferngehalten. Die ersten 16 Internet-Fälle pro Monat, in die kein konventionelles Medium, also Presse, Rundfunk oder Fernsehen, involviert sind, landen nun bei der Zivilkammer 25, der Rest bei Buske. Offenbahr entscheidet die 25. Kammer noch schärfer als die Pressekammer.

Wie hat sich die harte Hamburger Linie historisch entwickelt?

Das weiß angeblich keiner so genau.

Welche Rolle spielt der 2008 verstorbene Manfred Engelschall, der 1978 Vorsitzender Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht wurde und als einer von Buskes Lehrmeistern gilt? Nach seiner Pensionierung 1988 wechselte Engelschall plötzlich die Seiten und agierte als Berater und später auch als Partner der sehr renommierten Medienrechts-Kanzlei Prinz Neidhard Engelschall.

Das kann ich nicht einschätzen. Ich kenne die Hamburger Rechtsprechung der 1980er Jahre nicht, so tief habe ich nicht gegraben. Buske dürfte aber damals noch nicht dabei gewesen sein.

In den letzten Monaten haben Bundesgerichtshof (BGH) und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zahlreiche Entscheidungen gefällt, in denen sie die Hamburger Urteile vehement kritisiert haben (siehe Text auf Seite x). Was sind die prinzipiellen Einwände der Karlsruher Richter?

Das Verfassungsgericht sagt jedes Mal, dass in den Hamburger Urteilen die Abwägung zwischen dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht fehlt. In Hamburg überwiegt grundsätzlich das Persönlichkeitsrecht, obwohl es dafür im Grundgesetz keinen Anhaltspunkt gibt. Die Persönlichkeitsrechte stehen nicht mal drin, die werden nur reingelesen. Oft ist in den Hamburger Urteilen auch von einem „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ die Rede – ein ziemlich diffuser Begriff. Als ob ein Unternehmen Gefühle hätte wie ein Mensch.

In der Medienberichterstattung tauchte dieser Terminus gelegentlich auf, als die Pharma-Firma Grünenthal versuchte, mehrere Passagen des TV-Zweiteilers „Contergan“ zu verbieten.

Der Begriff „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ kursiert aber schon länger. Erstaunlich ist, dass man in der Fachliteratur so gut wie nichts darüber findet.  Trotzdem wird es ständig angewendet. Als Anwalt ist man da aufgeschmissen: In all den Handbüchern sind die Unterschiede zwischen Hamburg und Karlsruhe nicht erwähnt, man hält die Karlsruher Entscheidungen für maßgeblich. Aber nach Karlsruhe müssen Sie ja erst einmal kommen, das ist vor allem eine Kostenfrage.

Als Laie stellt man sich ja vor, dass die Untergerichte bei ihren Urteilen Grundsatzentscheidungen aus Karlsruhe berücksichtigen.

Das stellt man sich eigentlich auch als Fachmann so vor. Völlig ignorieren können die Hamburger die Entscheidungen aus Karlsruhe auch nicht. Aber den Grundsatz der Abwägung ignorieren sie ständig. Jeder Jurist lernt im zweiten Semester in der Vorlesung Staatsrecht II (Grundrechte), dass die Abwägung gerade bei den Äußerungsfällen von elementarer Bedeutung ist.

Haben Sie in den letzten Jahren in der Anwaltszunft gleichgesinnte Kollegen kennen gelernt?

Hinter vorgehaltener Hand gehen die Meinungen kaum auseinander. Ich habe aber den Eindruck, dass es sonst eigentlich keinen Anwalt gibt, der sich öffentlich über die Pressekammer des Landgerichts Hamburg so detailliert äußert und die Unterschiede zwischen Hamburg und Karlsruhe herausarbeitet – was peinlich für die Zunft ist. Ich verlinke ja immer alles: Jeder kann die Urteile lesen und überprüfen, was ich sage.

Wie wirkt der Hardliner Buske persönlich auf Sie?

Es ist seltsam, dass der einem fast sympathisch ist. Er hat durchaus Charisma und Humor, man würde mit dem sofort ein Bier trinken gehen, nur fällt er halt diese komischen Urteile. Einige Leute sagen, Buske sei dem linken Spektrum zuzuordnen, und das erkläre harte Urteile gegen Springer-Spresse usw.. Das klingt für mich aber nicht stimmig, wahrscheinlich assoziieren viele die Althippie-Frisur des Vorsitzenden.

Sie haben 2008 auf „Telepolis“ ein fiktives Interview mit Buske veröffentlicht (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/27/27999/1.html). Hat Ihnen das Ärger eingebrockt?

Nein, Buske würde nie auf die Idee kommen, mich aufzuwerten, der kennt die Gesetze der Public Relations.

Die Urteile der Pressekammer am Landgericht Berlin gelten ebenfalls als rigoros. Was ist der Unterschied zwischen Hamburg und Berlin?

In Berlin werden Sachen, die man als beleidigend interpretieren könnte, nicht so schnell verboten, während Spott in Hamburg häufig als Schmähung gesehen wird.

Viele Experten weisen darauf hin, dass die Pressekammer Hamburg ihre große Bedeutung nur erlangen konnte, weil § 32 der Zivilprozessordnung den so genannten Fliegenden Gerichtsstand ermöglicht. Warum steht er in der Kritik?

Die gegenwärtige Handhabung des § 32 ZPO in Pressesachen macht es möglich, dass sich Kläger bei Verletzungen des Äußerungsrechts das Gericht aussuchen können. Wenn Sie eine E-Mail verbieten lassen wollen, gehen Sie nach Köln, und wenn Sie die Ehre hochhalten wollen, gehen Sie nach Hamburg, wo man jede Meinungsäußerung in eine Tatsachenbehauptung umdeutet. Wo man hohen Schadensersatz beantragt, verrate ich nicht! Um zu verstehen, dass es sich bei diesem Gemischtwarenladen um einen unhaltbaren Misstand handelt, muss man nicht Jura studiert haben.

Ist es realistisch, dass dieser Paragraph in absehbarer Zeit reformiert wird?

2008 gab es aufgrund einer Petition entsprechende Überlegungen im Bundesjustizministerium 2008, aber die sind im Sande verlaufen.

Gibt es Anwälte, die den Fliegenden Gerichtsstand aus Überzeugung nicht anwenden?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich selbst bin ein vehementer Kritiker, habe aber im Moment in Hamburg aus Angreiferperspektive ein paar Verfahren wegen Verleumdungen laufen. Wenn es um Haftungen für Äußerungen im Internet geht, ist der Gang nach Hamburg nun mal das Mittel der Wahl. So lange es den Fliegenden Gerichtsstand gibt, wäre es ein anwaltlicher Kunstfehler und fast schon Parteiverrat, wenn man ihn nicht nutzen würde. Aber ich spiele fair, ich überrumpele die Leute nicht. Ich rufe die Gegner noch einmal an, ob sie nicht doch eine Unterlassungserklärung unterschreiben wollen.

Wenn an eine Reform des Fliegenden Gerichtsstandes nicht zu denken ist: Welche gesetzlichen Maßnahmen sind statt dessen denkbar?

Man müsste die Forderung, dass die Hamburger Gerichte die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht so vornehmen, wie Karlsruhe sie vorschreibt, in gesetzlicher Form verankern. Sonst machen Buske und Co. das einfach nicht. Es braucht politischen Druck. Wenn zum Beispiel die Strafrichter von der Politik die Vorgabe bekommen, dass politische Delikte stärker verfolgt werden sollen, dann gibt es auch mehr entsprechende Urteile, trotz richterlicher Unabhängigkeit. Eine ähnliche Einflussnahme ist auch im Zivilrecht möglich. Die Politik kann zwar nicht auf einzelne Verfahren Einfluss nehmen, wohl aber auf die Großwetterlage. Aber das Thema Presserecht in ist politisch derzeit nicht besetzt.

In Hamburg ist es nicht unüblich, dass Kläger bei Medienveröffentlichungen nicht nur gegen das Medium vorgehen, sondern auch gegen den oder die Autoren eines Beitrags. Warum ist das so, und wie ließe sich das verhindern?

Diese Beobachtung habe ich noch nicht gemacht. Es ist Sache des Klägers, gegen wen er vorgehen will. Professionell ist eigentlich nur das Vorgehen gegen einen Verlag, während das Verklagen des Autoren eher persönliche bis schikanöse Motive haben dürfte.

Was bemängeln Sie darüber hinaus?

Man sollte das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz überdenken. In dieser Verfahrensart wird der Äußerende regelmäßig überrumpelt und kann sich nur sehr eingeschränkt verteidigen, kann etwa keine Beweiserhebung verlangen, obwohl er regelmäßig beweisbelastet ist. Diese vermeintlichen Eilverfahren sind ja praktisch eine Farce, denn die Widerspruchsverhandlungen können etliche Monate hinausgezögert werden. Das Landgericht Hamburg hatte sich neulich über einen Monat damit Zeit gelassen, mir eine gegnerische Antragsschrift zuzusenden. Ich habe selber kürzlich eine einstweilige Verfügung durchgesetzt, da hat es zweieinhalb Monate gedauert, bis ich sie der gegnerischen Partei zustellen lassen konnte. Da fällt der Betroffene aus allen Wolken, weil die Äußerung schon so lange her ist. Hinzu kommt, dass man in Hamburg relativ einfach eine einstweilige Verfügung bekommt, wenn man Eeidesstattlichen Versicherungen abgibt, in denen man das Blaue vom Himmel runterlügt. Im einstweiligen Rechtsschutz muss man nichts beweisen, sondern nur glaubhaft machen.

In Hamburg hat kürzlich ein Verfügungsverfahren stattgefunden, in dem allen Anschein nach zwei hochrangige Mitarbeiter eines Medienunternehmens falsche Eidesstattliche Versicherungen zu Gunsten ihres Arbeitgebers abgegeben haben. Glauben diese Zeugen, dass sie damit durchkommen?

Oft genug kommen sie damit durch.

Im späterem Verlauf eines Verfahrens könnte doch aber die Wahrheit ans Tageslicht kommen. Der VW-Mitarbeiter und SPD-Politiker Hans-Jürgen Uhl, der in die Bordell-Affäre rund um den Autokonzern involviert war, gab 2007 zu, dass mehrere eidesstattliche Versicherungen, die er im Zuge eines Verfahrens vor der Pressekammer Hamburg abgegeben hat, falsch gewesen waren.

Bei ihm ist das ja in einem parallelen Strafverfahren deutlich geworden, insofern ist das eine Ausnahme. Generell gilt: Ist die einstweilige Verfügung erst einmal in der Welt, hat sie Vorprägungswirkung. Und einen Rechtsstreit durchzustehen, ist eine Kostenfrage. Wer eine einstweilige Verfügung kassiert, kriegt ja nicht nur einen Maulkorb verpasst, er muss ja auch gleich bezahlen. Das Risiko, das Widerspruchsverfahren zu verlieren und sich noch weitere Kosten aufzubürden, können sich unabhängige Privatpersonen in der Regel gar nicht leisten – wohingegen Großunternehmen einen Rechtsstreit aus der Portokasse bezahlen.

Das heißt, die derzeitige Medienrechtsprechung animiert potenzielle Kläger dazu, Straftaten zu begehen oder Zeugen zu Straftaten anzustiften?

Ja. Ich verstehe das auch nicht, dazu bin ich zu konservativ erzogen. Das Metier ist nun mal gelegentlich hemdsärmelig, und bis zu einem gewissen Grad habe ich auch kein Problem, Sachverhalte etwas einseitig auszulegen. Aber dass es Anwälte gibt, die eiskalte Lügen als Kavaliersdelikt sehen, finde ich befremdlich.

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